Redebeiträge Kundgebung Münster 12.09.15

#1 Gegen eine islamistische Türkei!

Die Pogromstimmung im Westen und der Bürgerkrieg im Osten der Türkei zeigen, dass der im Nahen Osten tobende Krieg nun endgültig auch in der Türkei angekommen ist. Während ein immer größeres Gebiet unter die Herrschaft islamistischer Regime und Terrorbanden fällt, beschränken sich die demokratischen Staaten des Westens indes auf das Ergreifen immer neuer Maßnahmen zur Flüchtlingsverwertung und -abwehr, nicht aber zur Bekämpfung der Barbarei und des Terrors. Auch die Linke bleibt weitestgehend untätig, sofern sie sich nicht am rassistischen Normalzustand in Deutschland und dessen Folgen abarbeitet.

Auch in der Türkei ist nun das Erstarken des politischen Islam zu befürchten. Aktuell kommt es zu offenen Angriffen des türkischen Staates auf diejenigen Kräfte, die in Syrien und dem Irak maßgeblich den Widerstand gegen die Barbarei des “Islamischen Staates” tragen. In der Türkei wächst zeitgleich der Druck auf die demokratische, säkulare Opposition.
Die islamistische AKP-Regierung erhält dabei Rückendeckung von der nationalistischen MHP. Die MHP steht für einen türkischen Nationalismus mit islamistischen Tendenzen. So waren die Anhänger der MHP in Deutschland – hier als “Graue Wölfe” bekannt – im letzten Sommer an den antisemitischen Großdemonstrationen in vielen deutschen Städten beteiligt. Auch wenn sich der Erfolg der AKP abzeichnet, paktieren die Parteien noch, geeint im anti-kurdischen Hass.
Die laufende türkische Militäroffensive richtet sich nicht in erster Linie gegen den IS, sondern gegen Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak. Die der PKK nahestehenden Selbstverteidigungseinheiten der YPG und verbündete Kräfte im Kampf gegen den IS, wie die Freie Syrische Armee, werden so geschwächt.
Auch die türkischen Pläne zur Errichtung einer militärischen Pufferzone in Nordsyrien richten sich nicht primär gegen den IS, sondern gegen die demokratische, selbst verwaltete Region Rojava. Rojava ist kurdisch für “Westen”. Dies entspricht dem Anspruch der Selbstverwaltung, daß die Region um den Kanton Kobani ein künftiges Westkurdistan bildet. Im umkämpften Nordsyrien ist Rojava momentan der einzige Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Religionen und Ethnien friedlich zusammenleben, wenn auch unter ständigen Angriffen des IS.
Zudem sieht sich in der Türkei die linke Oppositionspartei im Parlament, HDP, die bei den jüngsten Wahlen erfolgreich gewesen ist, einer massiven Repressionswelle ausgesetzt. Es kommt zu Einschüchterungsversuchen gegen führende Politiker_innen und selbst ein Verbotsverfahren gegen die HDP steht im Raum. Angesichts drohender Neuwahlen soll so der Wahlsieg der AKP gesichert werden.
Die Menschen in der Türkei, Syrien und dem Irak können in dieser Stunde der größten Not nicht auf die Hilfe des demokratischen Westens hoffen. Die Oppositionspartei HDP in der Türkei, die in der Freien Syrischen Armee kämpfende, marginalisierte demokratische Bewegung Syriens und die PKK-nahen Selbstverteidigungseinheiten im Irak und in Syrien werden in ihrem Kampf gegen die Barbarei vom Westen im Stich gelassen. Diese schändliche Politik hat mit dem Erhalt des Verbots der PKK als “Terrororganisation” auch in Deutschland Tradition.

Der demokratische Westen ist offenkundig unfähig, seine bevorstehende, negative Aufhebung zu verhindern. Die aktuellen Erfolge des politischen Islam zeigen einmal mehr, dass es sowohl der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft auch der Kritik reaktionärer Ideologien bedarf.
Reaktionäre Ideologien sind dabei als gegenaufklärerischer Versuch der Bewältigung bürgerlicher Moderne zu verstehen. Die vom politischen Islam propagierte Kollektivität ist die Unterwerfung der Menschen als Umma – die Gemeinschaft der Gläubigen – unter eine göttliche Autorität. Kritik des politischen Islam benennt die falsche Form der Kollektivität, die reaktionäre Ideologien hervorbringt. Apologie der Religion hingegen steht im Gegensatz zur progressiven Kritik bürgerlicher Moderne.
Kommunistische Kritik muss deshalb aufzeigen, worin die Hilflosigkeit sowohl des demokratischen Westens als auch die linker Politik maßgeblich begründet ist: Der Islam wird nicht als Weltanschauung ernst genommen. Die Appeasement-Politik des Westens gegenüber dem iranischen Regime steht beispielhaft für das Versagen der bürgerlichen Gesellschaften, der Bedrohung durch den politischen Islam zu begegnen. Diesen Fehler begehen auch große Teile der Linken, die, ebenso wie die Religiösen selbst, der Irrationalität anheim gefallen sind.

Wie kann die kritische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft und reaktionärer Ideologien in die Praxis umgesetzt werden?
Die Menschen in islamischen Gesellschaften und muslimischen Communities müssen als politische Subjekte behandelt werden, nicht als Teil eines monolithischen, dem Islam auf Gedeih und Verderb verpflichteten Blocks. Das bedeutet, demokratische und säkulare Kräfte, wie die Selbstverwaltung Rojavas, die HDP in der Türkei, die Green Party of Iran und die demokratische Opposition in den Ländern des Nahen Ostens müssen unterstützt werden.
Jede Bewegung, die kollektive Identität bewahren will – ob mit Bezugnahme auf Kultur, Religion, Ethnie oder Nation – muss dagegen als reaktionär bekämpft werden. Das bedeutet, dass der Kampf gegen den Islamismus in Deutschland, wo er in Form der Salafisten in den Fußgängerzonen angekommen ist, den gleichen Stellenwert haben muss, wie der Kampf gegen den rassistischen Nationalismus der Rechten.
Auch bleibt die Kritik Deutschlands eine Notwendigkeit angesichts der deutschen Unterstützung islamistischer Regime, der ausbleibenden Unterstützung eines effektiven Kampfes gegen den IS und der unmenschlichen Abschottungspolitik der EU, die auch bei der Freude über die wärmste “Willkommenskultur” nicht vergessen werden darf.

#2 Solidarität mit Rojava

Als linke und antifaschistische Gruppen aus dem Ruhrgebiet sind wir heute hier, um gegen die Verteilung des Koran durch Salafisten zu protestieren. Der Salafismus ist eine rückwärtsgewandte, menschenverachtende Ideologie, die den Frühislam idealisiert. Die Gesellschaft soll den in der Scharia propagierten Ordnungsvorstellungen entsprechen – mittelalterliche Moralvorstellungen, die mithilfe strenger Vorschriften durchgesetzt werden. Für Anders- oder Nichtgläubige, emanzipierte Frauen oder Homosexuelle ist in einer solchen Gesellschaft kein Platz.

Diese vom Verein „Lies!“ propagierte Ideologie ist weitgehend auch die des “Islamischen Staates” und sie wird in den von ihm kontrollierten Gebieten zur blutigen Praxis. Aber nicht nur ideologisch sind die Salafisten, hier, und der Islamische Staat vebunden. Die Veranstaltungen der Salafisten dienen auch der Rekrutierung neuer Kämpfer für den IS. Diese zumeist jungen, in Deutschland aufgewachsenen Männer reisen über die Türkei in die vom Islamischen Staat beanspruchten Gebiete, wo sie zu Massenmördern werden.
Auf diese Verbindungen der Salafisten zum IS wollen wir aufmerksam machen.

In allen islamischen Gesellschaften gibt es Menschen, die als vernünftige Subjekte dem religiösen Wahnsinn Widerstand leisten. Sei es auf politischer und kulturelle Ebene oder auch nur privat, auf alltäglicher Ebene. Muslimische Gesellschaften sind daher kein einheitlicher Block, dem wir in einem Kampf der Kulturen oder Ähnlichem gegenüberstehen. Stattdessen gilt es, jenen Menschen zu helfen, die noch nicht völlig in der Ideologie des Islams oder noch schlimmer, des Islamismus verfangen sind. Deswegen gilt unsere Solidarität Kräften wie der HDP in der Türkei oder der Green Party of Iran.

Gegen die unfassbare Barbarei des Islamischen Staates gibt es erfolgreichen Widerstand durch die kurdischen Selbstverteidigungskräfte. In Nordsyrien gibt es den Versuch eines emanzipatorischen Gegenentwurfs zum Islamischen Staat. Seit mehr als drei Jahren existiert dort die demokratische, selbstverwaltete Region Rojava. Rojava heißt auf kurdisch “Westen” und steht für Westkurdistan. In der umkämpften Region ist Rojava der einzige Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Religion oder ethnischer Herkunft friedlich zusammenleben. Wie das Modell Rojava auch zu bewerten ist – das Fortbestehen Rojavas ermöglicht die Vision einer Zukunft der Region, in der die Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihres Geschlechts, ihr Leben gemeinsam gestalten. So werden die patriarchalen Clanstrukturen durch die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen politischen und sozialen Organen aufgebrochen.

Es gibt dabei durchaus Anlass zur Hoffnung. Kobanê lebt und ist frei. Diese Meldung ging um die Welt.
Kobanê ist einer der drei Kantone Rojavas und war zwischenzeitlich stark umkämpft. Die Unterstützung Kobanês darf aber nicht den Falschen überlassen werden oder aus taktischem Kalkül erfolgen. Angesichts der Bedrohung durch den Islamischen Staat ist Solidarität das Gebot. Das zögerliche Handeln des Westens und die Unterstützung des “Islamischen Saates” durch die Türkei zeigen in der Stunde größter Not, auf wen sich die Menschen der Region nicht verlassen können. Diese schändliche Politik hat mit dem Verbot der PKK als “Terrororganisation” auch in Deutschland Tradition.

Schließlich ist nicht nur die Verteidigung Kobanês und des restlichen Rojavas das Verdienst der kurdischen Selbstverteidigungskräfte. Auch die Rettung der Yezid_innen gelang. Die Yezid_innen sind eine religiöse Minderheit in den von den Islamisten kontrollierten oder bedrohten Gebieten. Im Shengal-Gebirge wurden zehntausende Yezid_innen davor bewahrt, dem barbarischen Islamischen Staat in die Hände zu fallen. Die Selbstverteidigungskräfte Rojavas richteten einen humanitären Korridor ein und verteidigten ihn bis zur erfolgreichen Evakuierung. Ein Sieg des Islamischen Staats hingegen bedeutet Massenmord und die Versklavung von Frauen und Mädchen.

Abschließend teilen wir noch die Einschätzung von Charb, dem in Paris ermordeten Chefredakteur der Zeitschrift “Charlie Hebdo”: “Die Kurden in Syrien sind die Menschheit, die sich der Finsternis widersetzt.”
Deshalb: Zeigen wir unsere Solidarität mit Rojava! Unterstützen wir die demokratische Selbstverwaltung – indem wir die kurdische Selbstverteidigung unterstützen.
Rojava oder Barbarei.