Tag Archives: Text

Unser Selbstverständnis

Unser Selbstverständnis

Zur Aktualität kommunistischer Praxis und Kritik

Die eigene Hilflosigkeit, Marginalisierung und die vermeintlich aussichtslose Lage dürfen nicht zu Ohnmacht und Resignation führen. Es gilt zumindest zu versuchen, kommunistische Kritik wieder wahrnehmbar zu machen. Wir möchten möglichst viele Menschen ansprechen, deshalb wollen wir die Grundlagen unserer Gesellschaftskritik darlegen.

Let’s talk about capitalism

Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft sind nicht das Ende der Geschichte, sondern wesentlich durch Unfreiheit und Ausbeutung geprägt. Die materielle Reproduktion der Gesellschaft erfolgt nicht als bewusster Prozess, sondern ohne Kontrolle durch die Menschheit anhand der Mechanismen von Konkurrenz und dem Selbstzweck der Profitlogik. Diese Prozesse bringen immer Ungleichheit und Ausbeutung hervor, sind destruktiv gegenüber Mensch und Natur und führen notwendig periodisch zu/in Krisen. Warenproduktion und Tausch lassen die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zueinander als Eigenschaften der Dinge erscheinen. Daraus resultiert, dass dem bürgerlichen Bewusstsein – inkl. der bürgerlichen Wissenschaft – die kapitalistische Produktionsweise als überhistorisch und natürlich erscheint. Das bürgerliche Denken ist daher gar nicht in der Lage, die Mechanismen von Ökonomie und Gesellschaft adäquat zu analysieren. Die Krise der vergangen Jahre hat dies erneut gezeigt.
Auf der individuellen Ebene stellt die Kulturindustrie ein riesiges Angebot bereit, das den privilegierten Teil der Menschheit beschäftigt, welcher neben Lohnarbeit und Reproduktion noch Zeit zur Verfügung hat. Anders als in früheren Gesellschaften sind Ausbeutung und Herrschaft für die Privilegierten daher nicht sichtbar. Dieser relative Reichtum beruht aber auf der Ausbeutung eines anderen Teils der Menschheit, welcher angesichts mangelnder Bildung und des täglichen Kampfes ums Überleben überhaupt nicht in der Lage ist, die Verhältnisse in ausreichendem Maße zu reflektieren.

Schlimmer geht immer

Bestand am Anfang der bürgerlichen Gesellschaft noch die Hoffnung, dass diese zumindest die traditionellen Formen von Herrschaft und Ideologie ausradiert, muss das Fazit zu Beginn des 21. Jahrhunderts nüchterner Ausfallen. Patriarchale Herrschaft und das soziale Konstrukt Geschlecht existieren – in unterschiedlicher Intensität – global fort und auch im s.g. „Westen“ werden die Geschlechterverhältnisse durch pseudo-wissenschaftliche Naturalisierungen und die Kulturindustrie auf immer neue Weise zementiert und dadurch immer neues Leiden auf beiden Seiten produziert. Während es bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts noch so aussah, als würde wenigstens die Religion ein Ende finden, scheint dieser Prozess inzwischen sogar umgekehrt. Nicht nur, dass mit dem Islamismus eine derart barbarische Form der Religion auf dem Vormarsch ist, wie die Welt sie seit Jahrhunderten nicht kannte, auch im s.g. „Westen“ hat die Religion nur eine Transformation durchlaufen und macht sich wieder in den Köpfen breit. Sie ist jedoch notwendig immer eine umfassende Form von Unfreiheit, da sie das menschliche Leben sowie das Verhältnis der Menschen untereinander wie zur Natur durch eine übersinnliche Konstruktion verklärt (sei es ein Gott, eine kosmische Ordnung, etc.). Religion entwertet das endliche Leben der Menschen und dient dadurch der Legitimation von Ungerechtigkeit im Diesseits. Auch praktisch hat sich so gut wie jede Religion – auch noch im 20. Jahrhundert – als Instrument von Gewalt, Herrschaft und Ausbeutung erwiesen.

Die bürgerliche Gesellschaft hat aber zur Festigung ihrer Herrschaft auch ganz neue Ideologien hervorgebracht. Der moderne Rassismus und die Vorstellung eines Nationalstaats entstanden erst mit ihr. Diese Formen der Teilung der Menschheit sind Ursache von Gewalt, Herrschaft, Ausbeutung und Leid. Das weltweite Wiedererstarken rechter Parteien und Bewegungen zeigt, dass Nationalismus und Rassismus auch heute noch ein akutes Problem sind. Zudem führt die links-bürgerliche Kritik an diesen oft nur zu einem Austausch der Ideologie, beispielsweise durch Kulturalismus. Nicht vergessen werden darf auch das Bündnis von Kapital, Bürgertum und Kirche mit den traditionellen Faschismen des 20. Jahrhunderts.

Nicht jede Kritik des Kapitalismus ist dabei positiv, sondern der Kapitalismus bringt auch Bewegungen hervor, welche ihn reaktionär aufheben wollen, und dabei eine bis dahin nicht gekannte Barbarei entfalten. Hierzu zählt der Nationalsozialismus, welcher die Widersprüche des Kapitalismus in der Einheit der Volksgemeinschaft vermeintlich überwinden will, und zu diesem Zweck bekanntlich nicht davor gescheut hat, Europa mit Mord und Terror zu überziehen. Eine andere Form des negativen Antikapitalismus ist der Islamismus, welcher je nach Strömung ganz offen den Schritt zurück ins Mittelalter durchführen möchte oder zumindest die Welt nach religiös-mittelalterlichen Vorstellungen umgestalten will. Nationalsozialismus und Islamismus treffen sich dabei im eliminatorischen Antisemitismus, welcher den Kapitalismus personifiziert und an den von ihm als „jüdisch“ definierten Menschen vernichten möchte. Die Grenzen zwischen solch einem negativen Antikapitalismus und einem progressiven, aber theoretisch unzureichenden Antikapitalismus sind dabei fließender, als es vielen Linken lieb wäre.

Von der Schwierigkeit heute noch Kommunist_in zu sein

Die Situation der radikalen Linken scheint aussichtslos – besonders in Deutschland. Nicht nur sind Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft in der Bevölkerung weitgehend unhinterfragt, das Denken der meisten Menschen ist auf die eine oder andere Weise von reaktionären Ideologien beeinflusst. Die grundlegende revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft scheint daher nichts weiter als realitätsferne Träumerei zu sein. Eine reformistische Abwehr des Schlimmsten und ein „Abholen der Menschen dort wo sie stehen“ mit punktuellen Minimalpositionen ist auch bei vielen linken Gruppen an der Tagesordnung. Doch die Geschichte der Linken hat gezeigt, dass ein Verzicht auf eine grundlegende Kritik von Kapitalismus und Staat fatale Folgen hat: Die Parteidiktaturen der realsozialistischen Experimente waren ihrerseits Herrschaft und ihr Versuch, Bourgeoise und Konkurrenz durch ein Staatsmonopol zu ersetzen, brachten letztendlich nur eine andere Form des Kapitalismus hervor. Gleichzeitig zeigen der Marsch der 68er durch die Institutionen sowie das Scheitern der Antifabewegung, welche im sog. Aufstand der Anständigen faktisch zur Imagepolitik für das “geläuterte” Deutschland verkam, dass die bürgerlichen, parlamentarischen Demokratien in der Lage sind, alle Bewegungen zu integrieren und damit zu nivellieren, welche nicht auf radikalen Konfrontationskurs gehen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich Frustration und Resignation in der radikalen Linken immer weiter ausbreiten. Ob die Kritik dabei in akademische Lohnarbeit überführt wird, Zirkel mit identitärem und selbstreferenziellem Gestus gebildet werden oder der Rückzug ins Privatleben ganz offen erfolgt, spielt dabei keine Rolle. Dies Alles ist eine Kapitulation vor der bürgerlichen Gesellschaft. Das eigene Wissen über den erbärmlichen Zustand der Welt zu verdrängen, kann und darf aber keine Alternative sein, denn für alle, die noch einen Funken Menschlichkeit und politische Restvernunft besitzen, gelten die kategorische Imperative von Marx und Adorno nach wie vor: „Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ und das „Denken und Handeln (der Menschheit) so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe.“

Kommunistische Kritik muss den Kapitalismus daher an seiner Wurzel angreifen: Es geht darum, die materielle Reproduktion der Menschheit endlich unter ihre bewusste Kontrolle zu bringen und dies heißt, die grundlegenden Formen des Kapitalismus (Tausch, Geld, Privateigentum an Produktionsmitteln) abzuschaffen – ebenso wie alle Mechanismen und Institutionen der Herrschaft (z. B. den Nationalstaat). Nicht nur aufgrund des globalen Charakters des Kapitalismus, sondern auch, weil die Abschaffung von Kategorien wie Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Ethnizität und Kultur eine Prämisse des Kommunismus ist, kann diese Umwälzung der Verhältnisse nur global gedacht werden. Mit der Kritik am plumpen Antiimperialismus und nationalen Befreiungsbewegungen ist für uns notwendigerweise die Debatte über die Möglichkeit eines reflektieren, solidarischen Austausches mit emanzipatorischen im Rest der Welt verbunden. Aus dem globalen Charakter des Kampfes resultiert auch, dass Organisation lokal, regional und schließlich auch bundesweit und global, – trotz aller bisherigen Fehlschläge – nach wie vor eine Hauptaufgabe der radikalen Linken ist.

Welchen Sinn macht es, erneut eine marginalisierte Kleingruppe zu bilden?

Die eigene Hilflosigkeit, Marginalisierung und die vermeintlich aussichtslose Lage dürfen nicht zu Ohnmacht und Resignation führen. Es gilt zumindest zu versuchen, kommunistische Kritik wahrnehmbar zu machen. Die Formen des Handelns können dabei vielfältig sein, dürfen sich aber nie auf reine Theoriearbeit oder blinde Praxis beschränken. Von Bildungsarbeit für interessierte Menschen bis zur Polemik gegen die bürgerliche Gesellschaft, von Aktionen gegen reaktionäre und barbarische Kräfte bis hin zu dem Versuch, revolutionäre Positionen in gesellschaftliche Widersprüche und soziale Kämpfe sowie in die Diskussion über eben diese einzubringen, ist vieles denkbar. Entscheidend ist aber das Bewusstsein, dass trotz der begrenzten eigenen Kapazitäten ungebrochen gilt: Kommunismus oder Barbarei!

Kommunistische Praxis & Kritik (Bochum), August 2015